„Sie könnten mir Ihren Platz überlassen. Schämen Sie sich nicht, sitzen zu bleiben?” sagte mir eine ältere Frau im Bus.
„Eigentlich bin ich krank, ich kann nicht stehen. “, erwiderte ich mit dem Anflug eines Lächelns.
Die Dame seufzte tief und rollte mit den Augen. Als ob das etwas ändern würde. Als ob ich lügen würde. Als ob es meine Schuld wäre.
Und als ich aufstand, war sie wahrscheinlich die erste, die mit Unverständnis, Verwunderung und Mitleid auf meinen unsicheren und verlangsamten Gang blickte. Sie wäre aber nicht die Einzige, die mich verurteilt und nicht verstanden hätte, dass ich in der Tat eine chronische Krankheit habe. Und dass ich deshalb zeitweise nicht stehen oder gehen kann.
Vom Ertragen bis zum Akzeptieren der Blicke der anderen
In der Anfangsphase der Krankheit waren die Blicke der anderen für mich unerträglich. Vor allem, weil sie plötzlich da waren, während mich die Leute, bevor ich krank war nicht ansahen. Oder kaum. Ein normaler Mensch, ohne offensichtliche körperliche oder kleidungstechnische Unterschiede, fällt nicht auf. Aber als ich krank wurde, fingen andere an, mich anzuschauen. Mit Unverständnis, Misstrauen, Neugierde, Mitleid. Eine meiner Freundinnen, der ich erklärt hatte, dass die Leute auf der Straße den Rollstuhl anschauen, lachte mich sanft aus, bis wir eine Woche lang zusammen Sightseeing machten und sie nach ein paar Tagen feststellte: „Es stimmt, du hast recht, die Leute schauen uns wirklich an.”
Zu Beginn der Krankheit wirkten die Blicke der anderen brutal und hart und erinnerten mich immer wieder daran, dass ich anders war, dass ich krank war. Und das tat weh. Zu einer Zeit, als ich die Krankheit noch nicht akzeptiert hatte, konnte ich nicht akzeptieren, wie Andere meinen kranken Körper ansahen. Und die Krankheit zu akzeptieren, reicht nicht aus, um die Art und Weise, wie andere sie ansehen, zu akzeptieren. Das sind zwei verschiedene Stadien in diesem langen und nicht immer einfachen Prozess. Zu akzeptieren, wie andere mich ansahen, war Teil der Akzeptanz der Krankheit. Dies passierte erst, als ich mit der Krankheit selbst Frieden geschlossen hatte und mich entschied, trotz allem weiterzumachen.
Mit der Zeit wurde mir auch klar, dass die Art und Weise, wie andere mich ansahen, unterschiedlich war. Sie war nicht immer gleich, sondern reichte von Mitleid über Zweifel bis hin zu Neugier, Hinterfragen oder Mitgefühl. Schließlich habe ich auch gelernt, nicht zu sehr auf die Blicke zu achten, die andere mir bei meinem unsicheren Gang oder im Rollstuhl zuwerfen. Ich achte weniger darauf, was andere denken könnten. Denn was spielt das eigentlich für eine Rolle? Die Leute, die wichtig sind, wissen Bescheid, die Leute, die nicht Bescheid wissen, sind nicht wirklich wichtig.
Vom Akzeptieren zum Zähmen der Blicke der anderen
Die Blicke anderer zu akzeptieren, bedeutete auch, die Angst zu überwinden, in eine Schublade gesteckt zu werden. Oder beurteilt zu werden, noch bevor man mich wirklich kannte. Noch schwieriger war es, wenn ich neue Leute kennenlernte. Ich wollte nicht, dass sie mich in eine Kategorie stecken, aus der es schwer sein würde, wieder herauszukommen. Selbst in den Phasen, in denen meine Krankheit nicht oder kaum spürbar war, machte ich mir manchmal Sorgen, wie ich es anderen sagen sollte und wie sie damit umgehen würden, wenn sie es wüssten.
Eines Tages, als ich aus dem Bus stieg, fragte mich ein Mann, wie ich es schaffe, trotz meiner Situation so zu lächeln. “Weil ich glücklich bin”, antwortete ich mit einem breiten Lächeln. Warum sollte mein Leben schlechter sein als das von anderen, nur weil ich eine chronische Krankheit habe und einen Rollstuhl benutze? Seitdem genieße ich es, jeden, der mich ansieht, aus tiefstem Herzen anzulächeln, besonders aber diejenigen, die das mit Mitleid tun.
Natürlich muss man die Blicke der anderen akzeptieren, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Noch mehr als sie zu akzeptieren, muss man sie zähmen. Sie müssen verstehen lernen, dass Du keine Kategorie und kein Etikett bist. Dass Du nicht weniger fähig bist, weil Du eine chronische Krankheit hast. Dass Dein Leben deswegen nicht weniger wertvoll ist. Dass Du trotz allem glücklich sein kannst, auch wenn sie Dir das nicht glauben.
Und wie hast Du die Blicke der anderenakzeptiert? War es schwierig oder eher leicht?
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