Ob ich arbeiten kann, wie, wie viele Stunden, unter welchen Bedingungen, hat mich in den ersten Jahren meines Studiums sehr beschäftigt. Kurz bevor ich krank wurde, sah ich die nächsten Jahre schon komplett vorgezeichnet: studieren, dann anfangen zu arbeiten. Ganz natürlich mit 15-16 Jahren. Als die Krankheit einsetzte, ganz plötzlich und heftig, hörte ich auf zu planen. Wie konnte ich mir ein Studium und erst recht eine Arbeit vorstellen, wenn ich in einem solchen Zustand blieb?
Dann endlich besserte sich die Situation und ich überstand die schwierigen ersten Jahre. Als ich drei Jahre nach Beginn meiner Erkrankung mein Studium begann, war ich mir nicht sicher, wie ich arbeiten können sollte, auch wenn es mir besser ging. Mehrere Schritte während des Studiums waren wesentlich für meine Reflexion und Anpassung an das Arbeiten:
1. Immer wieder Praktika machen
Ich gebe zu, dass das ziemlich anstrengend ist, vor allem, wenn man ein Praktikum nach einer Prüfungsperiode macht. Gleichzeitig bereue ich es nicht, jeden Sommer Praktika gemacht zu haben, zusätzlich zu einem einjährigen Praktikum zwischen Bachelor und Master. Die Praktika haben mir vor allem gezeigt, dass ich arbeiten könnte und würde. Ich muss zugeben, dass dies eine große Erleichterung war. Die Konfrontation mit der Realität der Berufswelt, in der der Rhythmus ein ganz anderer ist als im Studium, hat mir sehr geholfen, mir das Arbeitsleben vorzustellen. Ich weiß, dass das je nach Behinderung oder chronischer Krankheit nicht immer möglich ist. Aber wenn Du glaubst, dass Du es schaffen könntest und Dir über Fähigkeit zu arbeiten unsicher bist, ist es eine große Hilfe, Praktika zu machen.
2. Deine spezifische Bedürfnisse erkennen
In der Tat, wenn die Praktika eine Gelegenheit waren, meine berufliche Erfahrung zu entwickeln und meine Fähigkeiten zu üben (aber das ist jetzt nicht spezifisch für die Krankheit), waren sie eine sehr gute Gelegenheit, die spezifischen Bedürfnisse im Zusammenhang mit der Krankheit zu identifizieren. So konnte ich verstehen, wie und unter welchen Bedingungen ich arbeiten könnte. Es war zwar von Anfang an klar, dass ich an einem für Rollstuhlfahrer zugänglichen Ort arbeiten müssen werde. Aber ich erkannte, dass ich die Intensität meiner Arbeitstage, bzw. Wochen, an die momentane Müdigkeit anpassen müssen werde. Das würde mich nicht daran hindern, Vollzeit zu arbeiten, ich würde nur von Zeit zu Zeit eine Pause einlegen müssen, um mich auszuruhen, sobald das Bedürfnis aufkam. Während meiner Praktika wurde mir auch klar, dass Homeoffice ein Teil der Gleichung sein sollte, dass es keine schlechte Idee sein würde, ein Taxi zur Arbeit und zurückzunehmen. Oder dass das Arbeiten nach 19 Uhr wegen der Müdigkeit schwierig werden würde. An sich nichts Kompliziertes, aber es zu wissen hat mir dann bei meiner Berufswahl und der Jobsuche nach dem Studium geholfen. Ein Bonus der Praktika mit der Erkenntnis, dass auch Vollzeit arbeiten könnte, wollte ich das und berücksichtigte ich meine Bedürfnisse. So einfach war das.
3. Lernen, seine Bedürfnisse zu äußern, aber sich nicht von seiner Behinderung definieren lassen
Es ist eine Sache, seine Bedürfnisse zu kennen, eine andere ist es, sie gegenüber seinem Arbeitgeber klar zu äußern. Und das ist etwas, womit ich Schwierigkeiten hatte. Ich wollte nicht nur, die Erfüllung einer Quote dienen (Frau und behindert, nicht so schlecht in Bezug auf Diversität!). Ich hatte die Befürchtung, dass wegen meiner Behinderung meine Arbeit nicht anerkennt und geschätzt werden würde. Dies war immer dann der Fall, wenn ich ein neues Praktikum oder einen neuen Job begann und das Gefühl hatte, mich noch nicht bewährt zu haben. Ich hatte wegen dieser zusätzlichen Parameter in der Gleichung Angst, als nicht arbeitsfähig beurteilt zu werden oder dem Job nicht gewachsen zu sein. Aber ich lernte zu zeigen, dass ich meine Bedürfnisse berücksichtigen musste. Denn sonst würde die Gleichung nicht mehr aufgehen. Diese wenigen Anpassungen sind ermöglichen mit heute, so zu arbeiten, wie ich es tue.
Jetzt arbeite ich Vollzeit und was ich tue macht mir wirklich Spaß. Ich bin sehr dankbar, dass ich arbeiten kann: Auch wenn es anstrengend ist – aber Vollzeit zu arbeiten ist auch für gesunde Menschen anstrengend -, auch wenn meine Symptome dadurch stärker sind, auch wenn es viel meiner reduzierten Energie kostet, ist mir das Glück bewusst, es überhaupt zu können. Nicht alle chronischen Krankheiten oder Behinderungen lassen dies zu, oder nur teilweise. Meine Symptome, auch wenn sie bestehen bleiben, sind so, dass ich es mir das Arbeiten leisten kann. Für mich ist die Arbeit mehr als nur mein Job. Es ist eine Möglichkeit, mir selbst und anderen zu beweisen, dass ich es kann. Dass die Krankheit und die daraus resultierende Behinderung mich nicht daran hindern. Es ist auch eine Möglichkeit, die Erfahrungen meines Studiums, aber auch wegen meiner Krankheit, was auch eine echte Lebensschule ist, gelernt habe, in der Gemeinschaft anzuwenden.
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